Ist Dir schon aufgefallen, dass es gar nicht immer so leicht ist, pädagogisch wertvoll zu handeln?
Wenn Du mitten in Deinem Alltag steckst, reagierst Du einfach ganz oft unbewusst. Du stehst unter Strom, hast tausend Sachen im Kopf, hast Pläne, bist mal müde und dann kommt aus dem Nichts eine Situation und dann denkst Du nicht mehr groß nach, sondern handelst einfach nur nach Deinem inneren Instinkt und Antrieb. Und manchmal merkst Du hinterher, dass es vielleicht nicht so optimal war, wie du mit der Situation umgegangen bist.
Ja, das geht jedem so – auch mir!
Und das ist Ok. Wir sind Menschen. Wirklich, glaube mir: Eltern sind auch Menschen. 😉 Wir machen Fehler. Immer wieder. Das hört auch nicht auf, egal, wie viel Du über den gesunden Umgang mit Deinem Kind weißt und egal, wie sehr Du Dich auch anstrengst. So what. So ist das Leben. Sonne und Regen, Rosen und Dornen – es gehört alles zusammen.
Heute erzähle ich Dir eine Geschichte aus meinem Alltag mit meinen Kids, speziell mit meinem Sohn.
Aus Fehlern lernt man, manchmal sogar erst dann.
Der Grundschulweg meiner Kinder war etwas länger und führte durch die Stadt. Wir fuhren jeden Morgen mit dem Fahrrad den gleichen Weg, erst die Kinder, gefolgt von mir. Unter anderem mussten wir über eine schmale Holzbrücke für Fußgänger und Radfahrer radeln. Die Kinder kannten den Weg mit seinen schwierigen Stellen inzwischen sehr gut.
1 Jahr lang habe ich meinem Sohn erklärt, dass er auf der Brücke, vor allem wenn sie feucht war, langsam fahren soll, ohne ruckartig zu bremsen. Fast täglich erklärte ich ihm, dass er auf der Brücke nicht überholen, sondern gemütlich, langsam, geduldig hinter den Fußgängern und seiner Schwester bleiben soll, weil die Brücke zu schmal mit dem Gegenverkehr ist.
Er ist ein Junge und natürlich fuhr er trotzdem immer etwas zu schnell und überholte meistens seine Schwester, weil er einfach als Erster über die Brücke fahren wollte. Du merkst schon beim Lesen, dass es nur eingeschränkt geholfen hat, ihm ständig „nur“ zu sagen und zu erklären, was er tun und lassen sollte.
Und dann kam der Morgen, der irgendwann kommen musste. Es war ordentlich Raufreif auf den Straßen, so auch auf der Brücke. Mein Sohn fuhr wieder nach seiner Art und nicht so, wie von mir gewünscht. Er überholte wieder seine Schwester, sah zu spät den „Gegenverkehr“, erkannte, dass der Platz da jetzt knapp werden könnte, erschreckte sich und reagierte prompt mit einer Vollbremsung – auf einer nassen Holzbrücke. Das Hinterrad rutschte natürlich ohne einen Halt am Boden zu haben weg, mein Sohn kippte samt Rad auf die Seite und rutschte ca. 3 Meter die Brücke entlang. Ich sah das aus der Ferne alles geschehen und Adrenalin schoss mir ins Blut. Einige Passanten blieben schon bei meinem Sohn stehen. Ich kam bei ihm an, sah, dass er sich nicht schlimm verletzt hat, er weinte nicht.
Und was tat ich? Wie reagierte ich?
Ich stieg von meinem Rad ab, stand vor ihm und sagte mit all dem Frust und Ärger des vergangenen Jahres und ordentlich gewürztem Sarkassmus zu ihm: „Toll gemacht, mein Kind, sehr schön, genauso haben wir es 1 Jahr lang geübt. Prima gemacht, so wie ich es dir beigebracht habe – richtig, richtig super.“
Ich war so wütend. Und dann auch noch die Blicke der Leute, die dann weitergingen mit ihren leisen Kommentaren. Ich half meinem Kind hoch und schaute mir seine Verletzung kurz an – sie hielt sich mit einer kleinen Schürfwunde in Grenzen. Sein Rad war an der Kette verbogen, so dass er das Rad nur schieben konnte und nun auch noch den Rest des Weges laufen musste.
Da ich meine Tochter aber pünktlich zur Schule bringen musste, lies ich meinen Sohn allein laufen, fuhr mit meiner Tochter zu Schule, sagte dort Bescheid, dass er später kommen würde und fuhr ihm dann entgegen, um ihn den Rest des Weges zu begleiten.
In dieser ganzen Zeit beruhigte sich mein Gemüt und ich fühlte mich mit einem Mal richtig schlecht meinem Sohn gegenüber. Was war ich nur für eine Mutter! Ich sah ihn langsam laufend, sein Rad schiebend, mit hängendem Kopf seinen Weg zu Schule beschreiten. Mir kamen die Tränen. Ich fuhr zu ihm, stieg ab und nahm meinen Sohn in die Arme und drückte ihn fest. Er konnte seine Anspannung nun auch abbauen, in dem er seinen unterdrückten Tränen freien Lauf ließ. So standen wir da auf dem Fußweg. Ich fragte ihn, ob er sich noch wo anders verletzt hat. Er zeigte mir, was ihm wehtat. Und dann weinte er über sein Fahrrad, dass es kaputt ist. Ich sagte ihm, dass ich es verstehen kann und, dass wir das Rad sicher wieder repariert bekommen. Dann sagte ich ihm, dass es mir leid tat, wie ich reagiert hatte und dass ich einfach so aufgebracht war, weil ich genau diese Situation 1 Jahr lang versucht hatte durch Reden zu vermeiden. Er entschuldigte sich bei mir, dass er mich nicht ernstgenommen und nicht auf mich gehört hat. Wir vergaben uns gegenseitig und liefen dann entspannt zur Schule.
Ich sage Dir, was für ein Morgen! Noch zu Hause, habe ich mir so viele Gedanken gemacht, wie das alles passieren konnte. Ich erkannte, dass ich nun mal ein impulsiver Mensch bin und dass solche Situationen nicht immer zu vermeiden sind. Ich muss dennoch lernen, dass ich, wenn ich emotional aufgebracht bin, nicht immer ungefiltert alles „raushauen“ kann, weil ich dadurch Menschen verletze.
Auf der anderen Seite hat auch mein Sohn durch diese Situation etwas gelernt, was er 1 Jahr durch meine Erklärungen nicht gelernt hat. Er ist seit diesem Sturz, nie wieder überholend über diese Brücke gefahren und zwar langsam, selbst bei trockener Witterung. Er überholte seine Schwester seit dem immer vor der Brücke. 🙂
Meine Alltagsgeschiche zeigt Dir, dass es völlig OK ist, Fehler zu machen.
Und jetzt kommt das Aber!
Aber: Erlaube Dir, Deinem Kind Stärke zu beweisen, indem Du Dich bei ihm entschuldigst. Das ist oftmals viel wertvoller, als keine Fehler zu machen. Strebe nicht danach, keine Fehler zu machen, sondern in guter Beziehung zu Deinem Kind zu leben! Dadurch vermeidest Du automatisch Fehler und wenn doch welche passieren, dann kannst Du dazu stehen und Dich entschuldigen.
Ich wünsche Dir Barmherzigkeit mit Dir selbst und Frieden, dass Du trotzdessen Du das Richtige tun willst, ab und an das Falsche tun wirst.
Deine Sandra
Sandra Giera ist Familiencoach, Fachreferentin für Erziehung und Mutter zweier Kinder. Mit Herz und Klarheit hilft sie Eltern, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, gesunde und glückliche Beziehungen zu schaffen.