Vorpubertät – Tipps für eine entspannte Zeit

Lass Dein Kind das Fliegen lernen

„Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel!“ J.W. von Goethe

Dein Kind hat die Grundschulzeit nun fast abgeschlossen und es kommt Neues auf es und auf Dich zu. Den Ausspruch von J. W. von Goethe finde ich einfach klasse. Du hast Deinem Kind nämlich in den letzten rund 9 Jahren alles gegeben, was sie brauchen, um selbstständig ihr Leben meistern zu können. Wurzeln stehen für Vertrauen, sichere Bindung, gesunde Achtung vor Autoritäten und Regeln. Und die Flügel stehen für alle Fähigkeiten, die Dein Kind inzwischen erworben hat. Jetzt kommt die spannende Zeit des Übens. Dein Kind hat feste Wurzeln und starke Flügel. Lass es nun das Fliegen lernen. Willkommen in der Vorpubertät.

Wenn dein Kind in die Vorpubertät kommt, kann das eine aufregende und zugleich herausfordernde Zeit sein. Plötzlich ändert sich alles und es kann schwierig sein, damit umzugehen. Aber keine Sorge, ich habe hier ein paar Tipps für Dich, die Dir helfen werden, eine entspannte Zeit zu haben.

Zeitpunkt der Vorpubertät

Zunächst einmal, wann fängt die Vorpubertät an? Bei Mädchen kann es schon zwischen 8 und 10 Jahren losgehen, während es bei Jungs zwischen 9 und 11 Jahren beginnt. Frühreife Kinder können sogar noch früher anfangen.

Erste Anzeichen der Vorpubertät

Die ersten Anzeichen der Vorpubertät sind häufig die körperlichen Veränderungen. Es beginnt meist mit einem körperlichen Wachstumsschub. Die Schamhaare fangen an zu wachsen, genauso wie die Brüste bei den Mädchen sowie die Hoden und Hodensäcke bei den Jungen. Psychische Veränderungen nehmen Eltern auch schnell wahr. Dein Kind wird sich vielleicht zunehmend zurückziehen und eure Regeln stärker hinterfragen. Das kann für Dich eine Herausforderung sein, da Dein Kind plötzlich selbstbewusster wird und mehr alleine machen und entscheiden möchte. Dinge, die vorher nie zur Diskussion standen, werden plötzlich hinterfragt und rebellisch beäugt.

Beispiel

Nehmen wir Katrin als Beispiel. Sie ist 10 Jahre alt und bemerkt plötzlich, dass ihr Körper sich verändert. Ihr Brustbereich fühlt sich anders an, manchmal tut eine Seite sogar etwas weh. Sie möchte jetzt gern Bustiers anziehen. Aber ihre Freundinnen dürfen das nicht erfahren, es ist ihr schon etwas peinlich. Sie fühlt sich unsicher. Ob es den anderen Kindern wohl auch so geht? Katrin beginnt auch Entscheidungen ihrer Eltern mehr in Frage zu stellen und möchte mehr Freiheit und Autonomie. Sie möchte zum Beispiel später aufbleiben und alleine zur Schule gehen.

Job der Eltern

Du musst Dich daran gewöhnen, dass Dein Kind sich mehr und mehr als eigenständige Person sieht und sich von Dir abnabelt. Dies kann für euch beide eine Herausforderung sein, aber durch offene Kommunikation und Verständnis kannst Du gemeinsam mit Deinem Kind durch diese Veränderungen gehen.

Beispiel

Stell Dir vor, Dein Sohn, der bisher immer pünktlich um 19 Uhr zu Hause sein musste, fragt plötzlich, ob er nicht auch mal bis 20 Uhr draußen bleiben darf. Du bist überrascht, weil es bisher nie ein Problem war und Du Dich an die alten Regeln gewöhnt hast. Du willst hier eigentlich keine Veränderung, weil dann euer ganzer Abend umstrukturiert werden muss. Es könnte sein, dass Du impulsiv reagierst und einfach Nein zu ihm sagst und da gar nicht groß auf seine Wünsch eingehst. Stattdessen wäre es viel geschickter, wenn Du versuchst in der Kommunikation mit Deinem Sohn zu bleiben und lieber mit ihm zu sprechen, ihn ausreden zu lassen. Er soll die Möglichkeit haben, seine Beweggründe zu nennen und Lösungsmöglichkeiten für eure veränderte Abendgestaltung vorzuschlagen. Und Du hast die Chance, Deine Bedenken mitzuteilen und ihm zu sagen, dass Du Dir sorgen machst, dass er zu wenig Schlaf abbekommt, wenn er den nächsten Tag zur Schule muss. Wichtig ist, dass Du Deinem Kind signalisierst, dass Du seine Bedürfnisse ernst nimmst und ihm zutraust, Entscheidungen zu treffen. Vielleicht könntet ihr eine Lösung finden, die für euch beide akzeptabel ist. Zum Beispiel könnte Dein Sohn erstmal nur eine halbe Stunde länger draußen bleiben, aber freitags und samstags bis 20 Uhr. So könnt ihr euch langsam umstellen.

Die Zeit der Vorpubertät ist auch für Dein Kind schwierig. Es hat Dich lieb, will aber eigene Wege gehen und es hat Angst davor, dass Du es dann nicht mehr lieb hast. Diese Angst musst Du Deinem Kind nehmen und das schaffst Du, indem Du für es da bist, ein Gesprächspartner bist und bleibst, auch wenn es mal schwierig wird.

Sei in der Zeit auch besonders hellhörig. Manche Nebenkommentare Deines Kindes könnten ein guter Start in ein wichtiges Gespräch sein.

Beispiel

Tochter: “Susanna nervt.”
Du: Reagiere darauf mit: “Ach so. Mit was nervt sie denn?
Tochter: ”Sie macht mir alles nach und schreibt bei mir ab. Und im Sport hab ich gesehen, dass sie so ne Art BH trägt. Voll bescheuert, die hat doch noch keine Brust.
Du: “Sie mag Dich und Deine Art wahrscheinlich sehr, wenn sie so sein will wie Du. Hast Du auch schon mal über so ein Bustier, so nennt man das, nachgedacht?”
Tochter: Sie lächelt verlegen. “Ja. Ich fände das mal interessant eins anzuziehen.“
Du: “Wollen wir Dir einfach mal eins besorgen?”
Tochter: Sie strahlt Dich an. “Geht das denn?”
Du: “Na klar, wir gehen nachher gleich mal los.”

Solche Situationen sind Gold wert. Lass sie am besten nicht nicht verstreichen. Ich weiß, dass es nicht immer klappt auf alles einzugehen. Aber gerade in der Vorpubertät brauchst Du wieder mehr Raum und Zeit für Dein Kind. Dein Kind wirft Dir immer wieder Brocken vor die Füße und Du darfst sie aufsammeln. Das ist sehr wertvoll, weil Dein Kind sich von Dir gesehen fühlt und weiß, es kann mit Dir sprechen. Das ist sehr wichtig für die Pubertät. Denn da muss Dein Kind sich bereits sicher sein, dass es mit Dir über alles sprechen kann.

Klarheit ist das A&O

Während dieser Zeit kann Dein Kinder auch zickig werden und seine eigene Meinung vehement vertreten. Auf der andern Seite aber zieht es sich zurück und will gar nicht mehr mit Dir reden. Provokationen lauern überall und Dein Kind wird dich provozieren und zwar immer öfter. Es ist wichtig, dass Du Deine Regeln anpasst und klar stellst, was diskutierbar ist und was nicht.

Beispiel

Respektlos miteinander zu reden, andere zu beschimpfen und anzuschreien ist nicht diskutierbar. Aber die Zubettgehzeiten sind verhandelbar, genauso die Aufteilung der Hausarbeit.

Als Eltern musst Du Dein Kind sensibilisieren, dass es diese Zeit jetzt braucht, um eine eigene Persönlichkeit zu werden. Lass dein Kind seine eigenen Erfahrungen machen und halte dich zurück, wenn es um seine Entscheidungen geht. Dein Kind wird seine eigenen Fehler machen und daraus lernen.

Beispiel

Erik hat Fußballtraining um 15:30 Uhr. Er muss mit dem Bus fahren, der 15:07 Uhr losfährt. Seine Mutter erinnert 15 Uhr daran, dass er seine Sachen zusammen packen soll. Erik will aber noch das Computerspiel zu Ende spielen. Seine Mutter lässt ihn in Ruhe. Erik vergisst die Zeit und packt schnell seine Sachen zusammen, verpasst aber den Bus. Nun muss er laufen und kommt zu spät zum Trainingsbeginn und seine Fußballhose hat er auch vergessen in der Eile einzustecken. Hätte seine Mutter ihn nochmals ermahnt, hätte er nicht diese „gute“ eigene Erfahrung machen können, Verantwortung zu übernehmen. Erik wird so schnell nicht mehr den Bus verpassen, da er laufen blöd findet.

Fazit

Die Vorpubertät ist eine aufregende und manchmal schwierige Zeit im Leben Deines Kindes. Sieh diese Phase als Chance, Dein Kind auf dem Weg zu einer eigenen Persönlichkeit zu unterstützen. Mit Verständnis, Offenheit und einem vertrauensvollen Gesprächspartner kannst Du dazu beitragen, dass Dein Kind diese Phase erfolgreich meistert und zu einem selbstbewussten jungen Erwachsenen heranwächst. Aber vorher kommt noch die Pubertät. Dazu schreibe ich aber ein ander mal etwas. 😉

Lass es mich wissen, wie es Dir und Deinem Kind so geht. Gern können wir über eure ganz individuellen Herausforderungen sprechen.

 

Deine Sandra

Sandra Giera ist Familiencoach, Fachreferentin für Erziehung und Mutter zweier Kinder. Mit Herz und Klarheit hilft sie Eltern, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, gesunde und glückliche Beziehungen zu schaffen.

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